Grundlage dieses Faktenchecks sind Aussagen, die als Antworten auf parlamentarische Anfragen („questions parlementaires“) erfolgten. Die GLCCA möchte hierzu einige Punkte klarstellen und Missverständnisse ausräumen.
„Règlement 2024/2803 relatif à la mise en œuvre du ciel unique européen qui vise à moderniser la gestion du trafic aérien (ATM) dans l’Union européenne en renforçant l’efficacité, la durabilité et la sécurité du système.“
Zur Klarstellung: Die Verordnung 2024/2803 ist die EU-Verordnung zur Umsetzung der Modernisierung des Einheitlichen Europäischen Luftraums. Im Rahmen dieser Modernisierung zielt der Digital European Sky auf einen effizienteren, nachhaltigeren und sichereren Luftverkehr in Europa ab, unter anderem durch weniger Verspätungen, optimierte Flugrouten, Integration neuer Luftfahrzeuge wie Drohnen sowie verbesserte Datenvernetzung.
Virtuelle oder Remote Towers sind dabei nur eine von vielen optionalen Technologien und stellen kein verpflichtendes oder zentrales Element dar. Ein Flughafen kann vollständig am digitalen Luftraum teilnehmen, ohne einen virtuellen Tower zu betreiben, entscheidend ist die Anbindung an digitale Systeme und den Datenaustausch, beispielsweise über SWIM, das Flugverkehr, Wetterdienste, Flughäfen und weitere Akteure verbindet. Große Flughäfen wie Frankfurt oder Paris-CDG nutzen SWIM vollumfänglich, ohne virtuelle Tower einzusetzen!
„La numérisation des services de navigation permet d’augmenter et d’automatiser les flux gérés ; tant dans le ciel que sur les pistes.“
Moderne digitale Technologien wie fortschrittliche Überwachungssysteme, präzise Navigation und automatisierte Flugverkehrssteuerung tragen tatsächlich dazu bei, den Flugverkehr in der Luft und auf den Start- und Landebahnen effizienter zu steuern und zu automatisieren.
Dies hat jedoch nichts mit virtuellen Towern zu tun. Virtuelle oder Remote-Tower sind lediglich eine Möglichkeit, die Flugverkehrskontrolle aus der Ferne mit Kameras und digitalen Schnittstellen durchzuführen, sie sind keine Voraussetzung für die Digitalisierung oder zur Erhöhung der Kapazität am Boden.
Große Flughäfen wie Zürich haben sich kürzlich gegen die Einführung eines Virtual Towers entschieden, nutzen jedoch umfassende digitale Systeme und behalten weiterhin physische Türme wegen ihrer betrieblichen Anforderungen.
„Le Conseil de gouvernement a en même temps décidé l’abandon du projet de construction d’une tour de contrôle dite « classique » sur le site précité.“
Sollte diese Stelle nun tatsächlich aufgegeben werden, liegt das wohl auch daran, dass die Gemeinde Sandweiler nie umfassend über die Folgen informiert wurde, etwa die Verlegung des “Trainingscircuits” für die Sportfliegerei in den Norden, anstatt weiterhin über den Köpfen der Anwohner zu fliegen. Das betroffene Gebiet befindet sich wohl bekannt auf dem Gemeindegebiet Sandweiler und nicht auf dem Flughafengelände, es gab jedoch ein OK der vorherigen Regierung.
Interessanterweise hat man es für ein Großunternehmen wie Google in Bissen geschafft, ein Gelände erfolgreich umzuklassieren.
„Même l’autorité américaine de l’aviation civile FAA, longtemps réticente envers la numérisation et enjointe par le FAA Reauthorization Act de 2024 d’avancer sur la certification de services numériques comme les tours de contrôles virtuelles.“
Der Begriff „services numériques“ steht nicht in direktem Zusammenhang mit virtuellen Kontrolltürmen (wie schon erklärt), diese sind lediglich ein mögliches Anwendungsbeispiel im Bereich digitaler Technologien.
Die FAA begann 2018 mit der Erprobung von Remote-Turmsystemen in Pilotprojekten in Virginia und Colorado. Obwohl beide Standorte betriebsfähig waren, verzögerte sich die Zertifizierung aufgrund sich ändernder FAA-Anforderungen.
Im Jahr 2024 forderte der Kongress die FAA auf, einen klaren Zulassungsprozess zu schaffen. Anfang 2025 begann die FAA mit der Bewertung von Systemen in einem zentralen Testzentrum und peilt eine Zulassung um 2027 an. Eine Zulassung ist jedoch nicht garantiert, die endgültige Zertifizierung hängt von den Testergebnissen und der Einhaltung strenger Sicherheitsstandards ab.
„Charleroi et Liège seront bientôt gérés à partir d’un centre de gestion à distance situé près de Namur ; et des projets sont en cours en Estonie, Roumanie, Espagne, Irlande, Pays-Bas, Italie, Danemark, etc.“
In Ländern wie Norwegen, wo bereits kleine Regionalflughäfen betrieben werden, macht ein virtueller beziehungsweise Remote Tower vollkommen Sinn, das haben wir ja auch schon mehrfach betont.
Der Flughafen Charleroi verfolgt seit 2018 ein Remote Tower-Projekt, das ursprünglich bereits 2019 in Betrieb gehen sollte. Inzwischen wurde der Zeitplan mehrfach verschoben, der vollständige Betrieb ist nun erst für Ende 2026 vorgesehen.
Charleroi wird fast ausschließlich von Billigfluggesellschaften wie Ryanair und Wizz Air genutzt, die gezielt kostengünstige Flughäfen ansteuern, was ein möglicher Grund für die Entscheidung zugunsten eines virtuellen Towers sein könnte. Zudem spielt Frachtverkehr am Flughafen Charleroi kaum eine Rolle, was bedeutet, dass ein mögliche Ausfälle weniger gesamtwirtschaftliche Auswirkungen hätten als an stärker integrierten Standorten wie Luxemburg!
Spanien: Im Juli 2025 kam es in Vigo mehrfach zu Unterbrechungen im Betriebsablauf, sodass man vorübergehend wieder auf den alten Tower zurückgreifen musste. An Standorten wie Menorca und Alicante wurde das Experiment mit virtuellen Towern vorerst auf Eis gelegt.
Interessanterweise wird das Mega-Projekt des neuen CPK-Flughafens in Polen keinen virtuellen Tower erhalten, sondern einen 105 Meter hohen traditionellen Tower. Der Flughafen entsteht in der Region Zentralpolen und soll eines der größten Luftfahrtzentren Europas werden. Dabei wird das Projekt vollständig im Einklang mit den europäischen Luftfahrtsgesetzen und -vorschriften umgesetzt.
„Munich, un des plus grands en Europe, est en train de réaliser un projet de contrôle aérien virtuel de contingence, afin de pouvoir procéder à la rénovation de la tour de contrôle classique.“
Der Flughafen München hat Frequentis DFS Aerosense beauftragt, ein Validierungssystem für einen virtuellen Tower zu installieren. Hochauflösende 360°- und PTZ-Kameras auf dem bestehenden Tower liefern Bilddaten an einen Remote-Kontrollraum in der DFS-Niederlassung München, um die betrieblichen und technischen Einsatzmöglichkeiten im Jahr 2025 zu testen, auch im Hinblick auf einen möglichen temporären Einsatz während der geplanten Tower-Sanierung.
Es wurde jedoch noch keine Entscheidung getroffen, ob die Flugverkehrskontrolle während der Renovierung tatsächlich über den virtuellen Tower erfolgen wird, dies befindet sich noch in der Evaluierungsphase.
„Le seul gros œuvre fermé revient à plus d’un million EUR par mètre de hauteur (hors équipements).“
Als Beispiel: Der Tower am Flughafen Dublin ist etwa 87 Meter hoch und hat rund 50 Millionen Euro in der Errichtung gekostet.
Abgesehen davon hat die Ministerin angekündigt, dass bis 2032 mehr als eine Milliarde Euro in die Flughafeninfrastruktur investiert werden soll.
Daher stellt sich die Frage: Kommt es wirklich auf ein paar Millionen Euro mehr für einen neuen Tower an, oder wird eher bei der Sicherheit gespart, während gleichzeitig in Terminalausbau und neue Lounges investiert wird?
Bei einem Investitionsvolumen von einer Milliarde Euro und zahlreichen neuen Gebäuden wird sich vermutlich auch noch ein geeigneter Standort für einen physischen Tower auf einem der Gebäude finden lassen.
„La flexibilité en matière d’interchangeabilité des équipements et de leur mise à jour / modernisation est considérablement plus élevée dans une tour virtuelle.“
Die Behauptung, dass virtuelle Türme grundsätzlich eine erheblich höhere Flexibilität bei der Systemmodernisierung bieten, greift zu kurz.
Gerade durch die komplexe Systemarchitektur und die intensive Aufsicht durch Behörden wie die DAC wird der Änderungsprozess häufig nicht beschleunigt, sondern eher verlängert.
Gemäß EU-Verordnung 2017/373 ist jede Änderung im Rahmen des Management-of-Change-Prozesses einer Sicherheitsbewertung zu unterziehen. Mit zunehmender Systemvielfalt sinkt dadurch die praktische Flexibilität bei der Austauschbarkeit von Komponenten.
« En résumé, les nouvelles technologies digitales ne mettent pas en péril la sécurité des opérations aériennes, mais contribuent à améliorer la sécurité dans tous les domaines. De surcroît, des services physiques tel que le « follow me » pourront être remplacés par des guidages digitaux plus efficaces et sûrs, et p.ex. éviter des accidents du type collision entre bus et avion.“
Diese Aussage ist sehr überraschend bzw. falsch.
In Europa, so auch in Luxemburg, ist laut den geltenden EU-Verordnungen 139/2014 und 2020/1234 der Flughafenbetreiber (in diesem Fall LuxAirport) für die Vorfeldkontrolle (Apron Management Services, AMS) zuständig. Dieser Dienst wird üblicherweise vom Flughafen selbst oder von verbundenen Unternehmen bereitgestellt. Zwar erlauben die Verordnungen die Auslagerung der AMS an externe Anbieter, dies ist in Luxemburg jedoch nicht der Fall.
Ein Virtual Tower würde daher keine Änderung hinsichtlich der Verantwortung oder Sicherheitslage im Zusammenhang mit Bodenfahrzeugen wie Bussen bewirken. Die Gefahr einer Kollision zwischen Bus und Flugzeug besteht unabhängig vom verwendeten Tower-Modell, da ATC im aktuellen Betriebsmodell nicht für die Busführung zuständig ist. Busse stehen üblicherweise nicht direkt mit der Flugsicherung in Kontakt, sondern unterliegen den Verfahren und der Kontrolle des Flughafenbetreibers.
Sollte es politische Bestrebungen geben, die Verantwortung für AMS auf den ANSP zu übertragen, was im europäischen Kontext eine Ausnahme darstellen würde, würde auch in diesem Fall ein Virtual Tower keinen operationellen Vorteil gegenüber einem konventionellen Tower bieten.
Die in der Aussage erwähnten „guidages digitaux plus efficaces“ beziehen sich vermutlich auf andere digitale systeme (z.b. Visual Docking Guidance Systems (VDGS), follow the greens). Solche Systeme können zwar zur Erhöhung der Sicherheit beitragen, fallen jedoch in den Verantwortungsbereich des Flughafenbetreibers und können auch unabhängig von einem Virtual Tower eingeführt werden.
Insgesamt lässt sich festhalten: Die genannte Aussage vermischt technologische Möglichkeiten mit institutionellen Zuständigkeiten und stellt kausale Zusammenhänge her, die in dieser Form nicht bestehen.
„Le potentiel d’incorporation d’innovations technologiques est quasiment infini dans une tour virtuelle, alors qu’il est limité aux technologies traditionnelles en voie de disparition„
Die Möglichkeiten scheinen schier unbegrenzt, dennoch muss nicht jede auf dem Markt verfügbare Technologie in einem Tower (ob virtuell oder klassisch) integriert werden.
Es ist wichtig zu verstehen, dass insbesondere die Hersteller von Bodenradarsystemen jene sind, die neue Technologien wie Remote Towers oder KI-gestützte Tools aktiv vorantreiben.
Warum tun sie das?
Der Markt für Bodenradarsysteme war früher sehr lukrativ und stark umkämpft. Heute jedoch ist nahezu jeder bedeutende Flughafen bereits mit entsprechender Technik ausgestattet. Um ihre Einnahmequellen langfristig zu sichern, sind diese Unternehmen gezwungen, sich neu zu positionieren und neue Produkte zu entwickeln.
Wir wissen, dass KI-gestützte Funktionen, wie etwa die visuelle Flugzeugkennung direkt auf dem Remote-Tower-Bildschirm, für außenstehende Beobachter beeindruckend wirken mögen. In der Praxis jedoch sind sie oftmals unnötig und werden von Lotsen mitunter als störend empfunden, insbesondere in komplexen Situationen, etwa wenn sich mehrere startbereite Flugzeuge gleichzeitig nahe der Piste befinden.
Es ist daher nicht notwendig, jeder technologischen Neuerung unkritisch zu folgen. Erst nach sorgfältiger Prüfung auf ihren tatsächlichen Mehrwert bleibt von der Vielzahl an Innovationen nur eine Handvoll übrig, deren Weiterverfolgung sinnvoll erscheint.
Wir behalten die technologische Entwicklung im Blick und werden uns dann einbringen, wenn neue Lösungen auf den Markt kommen, die einen echten operativen Nutzen für die Flugsicherung bieten.